Zwischen Vogelfreiheit und Kunstmarktzwang:

Bakos Tamás - ein Österreichisch-ungarisches Märchen

Robert Sommer

 

Manchmal nimmt das Leben märchenhafte Züge an. Derizehn Jahre lang hat Bakos Tamás, geboren 1977, in den Straßen und Unterführungen der ungarischen Hauptstadt gelebt. Ein Galerist aus Wien staunte über die Qualität und den Umfang des Oeuvres. Seither hat Budapest einen Obdachlosen weniger.

 

Der Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel vertrat im Kulturjournal des ORF die Meinung, dass die Mehrheit der Künstler und Künstlerinnen "Komplizen des Marktes" seien. Für Bakos Tamás – den Maler, der aus dem Abseits kam – trifft das zu und gleichzeitig auch ganz und gar nicht.

Komplize ist er, weil er die Mechanismen des Kunstmarkts benutzt, in den ihn – seit er in diesem Winter in Wien entdeckt wurde – alle Freunde gutgemeint hineindrängten. Die Verantwortlichen seiner "Apotheose": seine seit geraumer Zeit in Wien lebende Schwester Anna, der Verleger und Alte Schmiede-Chef Walter Famler und der afrikanische Galerist Benedict Onyemenam, der mitten in der City seine Galerie Herz von Afrika betreibt und deren Keller dem Ungarn einige Zeit als provisorisches Atelier zur Verfügung stand.   

 

Im Keller des Kunstmarkts angelangt, kann ja auch nur die Aussicht auf den kommenden Hype schon das Kapital für die nächsten Projekte sein. Eine günstige Prognose bezüglich Bakos Tamás genügte einem privaten Mäzen, der ungenannt bleiben möchte. Er verschaffte dem Gast aus Ungarn eine zunächst auf ein Jahr befristete Wohnung in Meidling zum Gegenwert von verkaufbaren Bildern. Andrerseits hat dieser in den letzten dreizehn Jahren seines Lebens – es war ein Leben ohne die sprichwörtlichen eigenen vier  Wände in einer europäischen Metropole, in der Obdachlose noch um einen Grad vogelfreier und verdammter sind als in Wien – am Markt völlig vorbeigelebt - wenn man von den kleinformatigen Bildern absieht, die er einmal um 1000 Forint verkaufen konnte.

 

W i e  er am Markt vorbei gelebt hat, ist freilich schon wieder ein Thema, das den Markt mitsamt seinem kunstdiskursiven Begleitrauschen interessieren könnte. Auch wer in Kunstmarktangelegenheiten ungeschult ist, muss hier folgendes Dilemma wahrnehmen:  Wird die Kunst vom Außenseiterleben seines Schöpfers getrennt, das heißt, wird im Sinne der Fokussierung auf das Werk kein Aufhebens gemacht um die Stadtstreicheranteile in Bakos Tamás´ Biografie, bedeutet das den Verzicht auf ein spektakuläres Alleinstellungsmerkmal, das ihm zumindest gesteigerte Aufmerksamkeits-Einheiten einbrächte. Einem möglichen Manager – und wenn Bakos Tamás sein eigener wäre – ist es in diesem Fall verwehrt, eine moderne Version der Mogli-Legende zu erzählen: die Geschichte eines "Findelkindes", das viele Jahre lang glücklich und unentdeckt im Großstadtdschungel von Budapest lebte, bis es von Panther Baghira (alias Walter Famler, dem wir in erster Linie verdanken, dass die Welt die Chance bekommt, Bakos Tamás kennen zu lernen und zu begreifen) mit sanfter Gewalt aus der Zone des Wilden in die Zivilisation gelockt wurde.

 

Solcherlei Erzählungen haben schon viele künstlerische Warenwerte anschwellen lassen und Bakos Tamás wäre, wenn sie auch in seinem Falle wirkten, oft durch Scheinwerferlicht geblendet. Aber zu welchem Preis. Zum Preis seiner Kategorisierung als Außenseiterkünstler, die sich für ihn als Sackgasse herausstellen könnte. Zum Preis einer Stigmatisierung zum "Unverbildeten", zum Autodidakten. Seine Kunst wäre in diesem Fall in die Nähe von Art Brut gerückt.

Für Bakos Tamás ist Art Brut beileibe kein schwarzer Fleck. Es lebte noch nicht lange in Wien – und besuchte schon Gugging. "Die Gugginger Maler haben mich sehr beeindruckt", sagt der Gast aus Ungarn. "Für meine Kunst lehne ich solche Etiketten ab, ich gehöre keinem -ismus an, und wenn ich meine Malerei beschreiben müsste, würde ich sagen: Die Bilder sind Redaktionen auf das, was ich sehe, sie sind Ausdruck meiner Lebenserfahrungen. Was man aus meinen Bildern auch erkennen kann: ich habe keine Hemmungen, was das Material betrifft, auf dem ich male." Bakos Tamás zeigt uns Gemälde, die er auf schwarzem Karton realisierte, den er irgendwo auf der Straße fand. "Ich ahnte, dass ich keine Chance auf eine akademische Ausbildung kriegen würde, deshalb verschlug es mich in die Gastronomie. Aber mein Autodidaktentum heißt nicht, dass ich völlig unbeeinflusst von der Kunst anderer bin. Mein Zeichenlehrer in der Schulzeit hat mich beeinflusst, und ich könnte auch ein paar Namen ungarischer Künstler aufzählen …"

 

 

Die Wertschätzung, die er in Wien von Kunstliebhabern und Kunstvermittlern genießt, und die ersten überraschenden Verkäufe haben in ihm die Lust entfacht, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. "In Ungarn  obdachlos zu sein, ist ohnehin kein Spaß", sagt er. Als ob nichts Besonderes passiert sei, spricht er en passant von zwei Vorfällen, die zeigen, wie gefährlich die Clochards von Budapest leben. Einmal ist er im Schlaf von einer Gruppe überrascht worden, die ihn mit Fußtritten malträtierten, bis sein eigener Fuß gebrochen war; einmal ist von einem naheliegenden Fenster auf ihn geschossen worden. Bakos Tamás wurde dabei lebensgefährlich verletzt. In beiden Fällen kam es zu keinen Prozessen und damit auch zu keinen Verurteilungen der Täter. Das Achselzucken, mit dem Tamás diese Geschichte begleitet, mag ein Psychologe deuten.