Aufgesprudelte Bildwelten

Gedanken zur unkonventionellen und sinnlichen Malerei von Bakos Tamás

Martin Behr

 

 

Die weiße Stirn geht direkt in die Nasenpartie über. Mund, Augenbrauen und Teile des Auges haben gelbe Akzentuierungen, was wiederum mit dem Schwarz der Haare und den grün gemalten Teilen des Gesichtes kontrastiert. Ein Mann mit offenbar exzentrischer Frisur blickt einem frontal entgegen, das Antlitz franst an seinen Rändern in dynamische Pinselhiebe aus, der aus dem Bildgeviert scheinbar herauswachsende Kopf ist von fleckenhaften Farbnebeln umgeben. Das von Bakos Tamás gemalte Porträtbild ruft einige Assoziationen hervor: Es erinnert etwa an die Expressivität des Komponisten und malerischen Laien Arnold Schönberg ebenso wie an die heftigen Bilder, die in der Zeit der „Neuen Malerei in Deutschland“ ab Ende der 1970er-Jahre gemalt wurden. Ist das nun ein (Alp-)Traumbild? Eine Vision? Ein Produkt der Fantasie, aufgesprudelte Bildwelten aus dem Unterbewussten oder eine spontane, exzentrische Umformung der ihn umgebenden Realität?

 

Sicher ist: Bakos Tamás zeichnet und malt Figuren. In der überwiegenden Mehrzahl seiner Bilder tauchen Gesichter und Körper auf. Schneeweiße Gesichter, aus denen Sorge oder auch Angst zu quillen scheint. Gesichter, die mit dem Umraum zu verschmelzen scheinen, Gesichter, die manchmal den Geist der Karikatur verströmen, dann wieder deutliche Anklänge an den klassischen Expressionismus aufweisen. Gesichter, die zeitlos zu sein scheinen, solche mit weit aufgerissenen Augen, Gesichter, die Masken tragen oder Gesichter, die auf dem Kopf andere Figuren beherbergen: Kopfgeburten sind sie allesamt, die der 39-jährige Ungar auf das Papier oder auf die Leinwand bringt. Wobei das Material eine untergeordnete Rolle spielt. Bakos Tamás braucht keine edlen, handgeschöpften Zeichenblätter aus dem Künstlerbedarfladen. Jeder Zettel, jedes Blatt Naturpapier, schwarz oder weiß, jede aus einem Spiralskizzenblock herausgerissene Seite, jeder Karton aus dem Altpapiercontainer ist kunstwürdig. Und die Farben? Müssen nicht exquisit und teuer sein. Ganz im Gegenteil.

 

Die Wollust suggerierende, sich räkelnde nackte Frau, der von Fratzen umgebene Jesus Christus am Kreuz, die drei Männer mit ihren bedrohlichen dunklen Augenschatten, der punkige Männerkopf mit einem Inkarnat, das schweinchenrosa ist: Bilder wie diese scheinen mit großer Leichtigkeit und sinnlicher Lust gemalt zu sein. Der innere Antrieb ist viel eher ein Leitmotiv als ein Schielen auf Moden oder andere kunstmarktfixierte Bedürfnisse. Bakos Tamás verlängert mal manieristisch die beiden von der blassen Figur zum Mund geführten Hände, das mit großen roten Brüsten ausgestattete Mischwesen wiederum könnte der Art Brut zugeordnet werden. Bisweilen streift der 39-Jährige am Surrealismus und beim Symbolismus an, selbst barocke Bildaufbauten tauchen ­-­ insbesondere in Arbeiten mit Figurengruppen - auf. Der verwegene Charme einer Historie, die ihn als Straßenkünstler kennt, umgibt den Künstler, dessen Arbeiten keinen klaren Trennstrich zwischen Meisterschaft und Dilettantismus ziehen wollen. Warum auch?

 

Spätestens seit der vergangenen Kunstbiennale in Venedig ist Outsider-Kunst wieder hoch im Kurs. Das Getriebene, die Obsessivität und das Rohe, von Akademismus und Trendschielerei Unbefleckte dieser Art von Kunst wurde von Massimiliano Gioni mit Nachdruck präsentiert. Bakos Tamás erfüllt nur zum Teil die Kriterien eines Außenseiter-Künstlers. Obwohl Autodidakt, ist der Ungar zumindest teilweise mit nationaler wie internationaler Kunstgeschichte vertraut. Er ist Künstler mit Leib und Seele. Einer, bei dem auch Bild und Seele zusammenwachsen. Ein Insider, wenn es darum geht, Gespür für Farben und Formen zu entwickeln.